Am 22.03.2020 hat unser treuer Freund und Initiator unserer Projekte, Scheich Sadeq Abdul Wahed Al Sufi den Kampf um sein Leben verloren. Nach einem anaphylaktischen Schock vor fünf Wochen, der ihn ins Wachkoma brachte, war seine Kraft zu Ende.
Er wurde in Kairo beigesetzt, weil derzeit wegen der Flugplatzsperre auch keine Maschinen mehr in den Jemen gehen. Auch das ist für seine Familie schwer zu ertragen. In unserer eigenen Trauer versuchen wir zu trösten, so gut es eben geht.
Auf jeden Fall werden wir in seinem Sinne, gemeinsam mit seinen Söhnen, im Jemen weiterarbeiten und sein Werk fortführen. Das sind wir ihm schuldig!
Aenne Rappel für den Vorstand
Sadeqs Geschichte
Anlässlich einer Rundreise durch den Jemen 1996 habe ich Scheich Sadeq kennen gelernt. Bedingt durch einen Unfall meiner Kusine am Golf von Aden, kamen wir in ein staatliches Landkrankenhaus. Das Erlebnis dort, war der Beginn einer Hilfsaktion.
Dies wiederum hat Scheich Sadeq bewogen, mich in sein Heimatdorf Al Mihlaf zu bringen. Dort wurde ich um Hilfe gebeten.
Das war der Anlass den „Förderverein Aktion Jemenhilfe e.V." zu gründen und ein Krankenhaus zu bauen. Später folgte die Gründung der „Jemen Kinderhilfe e.V.". Scheich Sadeq war zunächst der Bauleiter. Er wurde dann von der Bevölkerung von Al Mihlaf zum Verwalter unseres Krankenhauses gewählt.
Für unsere Kinder in Taizz war er der Ziehvater.
Wir haben all die Jahre miteinander, ja auch manchmal gegeneinander, gekämpft. Wir konnten uns stets auf ihn verlassen. Auf seine Treue, Ehrlichkeit und sein stets offenes Ohr. Er war nahezu ein Jahr hier in Aichach, um Deutsch zu lernen und er hat während dieser Zeit in einem Altersheim sämtliche Stationen durchlaufen, um zu sehen, wie wir hier arbeiten. 2012 war er mit einem unserer Schützlinge, der einen Gehirntumor hatte, hier und dann 2013/14 mit einem der Jungs, der drei Wochen im Krankenhaus in Ingolstadt lag.
Er war zuckerkrank, was er nicht wahrhaben wollte. Es kamen die ersten Herzprobleme dazu. Es war nur zeitweise ein Kardiologe in Taizz. Die Versorgung mit Medikamenten wurde immer schlechter.
Der IS zog in Taizz ein. Sie zerstörten alle Einrichtungen, die jemals mit Ausländern zusammengearbeitet hatten. Das hatte zur Folge, dass Scheich Sadeq ein ganzes Jahr das Haus der Kinder in Taiz nicht verlassen konnte. Sie hätten ihn sonst umgebracht! Sein Zustand verschlechterte sich zunehmend. Er litt unter Schwindelanfällen und konnte kaum noch laufen. Sein Arzt riet ihm nach Kairo zu gehen. Dies tat er am 01.01.2019. Sein Sohn schleppte ihn bei Nacht auf Schleichwegen in einer 10 Stunden-Fahrt nach Aden.
Hier in Deutschland berieten wir und beschlossen ihn zu uns zu einer Art Reha-Maßnahme zu holen. Frau PD Dr. Ring Mrozik und ich flogen am 02.01.2019 ebenfalls nach Kairo, wo wir uns im Hotel mit ihm und seinem Sohn trafen.
Er konnte zu der Zeit kaum gehen. Er konnte nicht schlafen und nicht essen. Ganz langsam erfuhren wir, dass er immer die schrecklichen Bilder vom Krieg im Jemen vor Augen hatte.
Ich hatte durch eine Liste der deutschen Botschaft den Namen eines deutsch sprechenden Arztes. Diesen suchten wir auf.
Es fanden viele zeitraubende Untersuchungen statt und es wurde auch ein Kardiologe eingeschaltet. Am Ende musste er 18 verschiedene Medikamente einnehmen. Frau PD Dr. Ring Mrozik war entsetzt. Die beiden Herren wischten ihren Einwand weg. Beide Ärzte erstellten Gutachten. Frau PD Dr. Ring Mrozik ebenfalls.
In Deutschland bemühten sich unsere Vorstandsmitglieder um die schriftlichen Zusagen von Ärzten und einer Physiotherapeutin ihn kostenlos zu behandeln.
Es wurden beim ADAC die nötigen Versicherungen für ihn und seinen Sohn für die Dauer von drei Monaten abgeschlossen.
Ich versicherte an Eidesstatt, in meiner Funktion als 1. Vorsitzende des Förderverein Aktion Jemenhilfe e.V. und der Jemen Kinderhilfe e.V., dass dem deutschen Staat durch seinen Aufenthalt in Deutschland keine Kosten entstehen würden. Als Privatperson versicherte ich, dass er mit seinem Sohn in meinem Hause leben kann.
Ich erklärte die Notwendigkeit der Anwesenheit seines Sohnes, weil ich mich nicht in der Lage sah ihn im Notfall halten zu können.
Als unserer Meinung nach alle Papiere, die für ein Visum notwendig waren, gesammelt waren, schickte ich seinen Sohn zur Visastelle der Bundesrepublik Deutschland in Kairo. Er sollte die Antragsformulare holen. Es kam ein verzweifelter Anruf, weil man ihn das Haus nicht betreten ließ. Ich schlug vor, er möge sein Handy dem Türsteher geben, damit ich diesem die Situation erklären könne. Das lehnte dieser laut schimpfend ab. Wir erfuhren, dass Anträge nur im Internet heruntergeladen werden können.
Stundenlang saß ich vor meinem PC. Das WLAN war so schwach, dass mir dies nicht gelang. In meiner Verzweiflung rief ich einen Botschafts-angehörigen an und schilderte ihm unsere Situation. Er war hilfsbereit und mailte mir das Gewünschte. Sein Kommentar „...ich verstehe die Politik unserer Visastelle nicht und mit der Leiterin liege ich im Clinch...".
Es waren Anträge in deutscher Sprache. Frau PD Dr. Ring Mrozik füllte alles gewissenhaft aus, ehe sie nach drei Wochen Aufenthalt in Kairo wieder nach Hause fliegen musste.
Bewaffnet mit Gutachten, Laborberichten und Erklärungen gingen wir zur Visastelle. Nur durch mein energisches und ja, lautes Auftreten fanden wir Einlass. Wir sollten uns eine Nummer besorgen. Wo? Im 8ten Stock. Dort wusste man von Nummern nichts, hatte auch noch nie welche gehabt. Das gebe es im Parterre. Also wieder runter. Dort bekamen wir dann eine Visitenkarte der Security Firma ohne jegliche Nummer. Wieder im vierten Stock ließ man mich nicht mit in die Visastelle. Wieder wehrte ich mich dagegen energisch, man holte den Supervisor. Der war sehr freundlich, aber unerbittlich, weil er nur Antragsteller einlassen dürfe. Er holte mir ein Stühlchen. Auf dem saß ich dann über 30 Minuten lang im Treppenhaus. Dann kam der Supervisor zurück mit der Bitte nun doch reinzukommen, weil man Probleme mit den beiden Herren habe. Der Sachbearbeiter, ein freundlicher junger Mann, erklärte mir, er könne die Anträge nicht behandeln, weil nicht alle erforderlichen Papiere da wären.
Was fehlte? Die Flugtickets nach Deutschland und zurück. Auf meine erstaunte Frage, ob das bedeute, dass die Beiden das Visum bekämen, bekam ich die Antwort, dass er nur der Sachbearbeiter sei und nichts entscheide. Aber ohne Tickets kein Visum! Die Beiden hinterließen ihre Fingerabdrücke und Fotos sowie die Bearbeitungsgebühr.
Ich bat einen Freund zu Hause die Tickets zu kaufen und sie an die Chefin der Visastelle zu mailen. Bald kam die Meldung, dass die Tickets bereits zur Sicherheit zwei Mal an die angegeben Mailadresse gesandt worden seien. Um nicht aufdringlich zu sein, warteten wir 10 Tage, ehe wir wieder zur Visastelle gingen, um nachzufragen. Dort hieß es, die Anträge können nicht bearbeitet werden, es sind keine Tickets da.
Ich gebe zu: Mir ging der Hut hoch. Wir fuhren zur Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Ich bat die ägyptische Soldatin dort bei der Chefin der Visastelle anzurufen. Diese ging nicht ans Telefon. Ich erklärte der Soldatin, dass ich hier stehen bleibe, bis sie die Dame erreicht hat und wenn es einen ganzen Tag lang dauere. Auch sie holte ihren Supervisor. Dieser, ebenfalls ein freundlicher Mann, der meinen Pass an sich nahm und meinte er wisse nicht, wo sich die Betreffende gerade aufhalte, aber er suche sie. So saß ich geraume Zeit mit meine beiden Begleitern an der Straße auf einem Mäuerchen und wartete. Dann kam der Supervisor endlich fröhlich meinen Pass schwenkend wieder und hatte ein Dame im Schlepptau, die Chefin der Visastelle. Sie winkte mich mit dem Zeigefinger zu sich. Ich wollte das gar nicht glauben. Sie meinte es jedoch ernst. So ging ich zu ihr, bot ihr wie ich es sich gehört und ich gewohnt bin, meine Hand zum Gruß an, doch damit hatte sie offensichtlich Probleme. Erst als ich meine Hand unerbittlich ausgestreckt hielt bekam ich auch ihre Hand zum Gruß. Ich stellte mich vor, sie tat das erst auf meine Frage, wer sie denn sei.
Ich berichtete ihr, immer noch vor der Tür der Botschaft, unser Problem. Ich bekam zur Antwort: „was glauben sie wie viele Anträge ich jedes Jahr auf meinem Schreibtisch habe? Da habe ich nicht die Zeit alles durchzulesen, was ankommt". Ich bat sie darauf, dass sie ja nun wisse, dass da die Tickets für die beiden Jemeniten dabei seien, doch wenigstens diese weiterzuleiten. Auf meine Frage, wie lange das dauern könne: „Ca. 9 Wochen..." Ich erklärte ihr, dass es sich um einen kranken Menschen handle, der dringend nach Deutschland zur Rehamaßnahme solle; darauf meinte sie: „…der liegt ja nicht einmal im Koma", auch dauere es bei Jemeniten etwas länger, weil erst die Anrainerländer befragt werden müssten, ob etwas gegen sie vorliege. Auf meinen Einwurf, dass ich die Beiden seit 20 Jahren kenne und mich für sie verbürgen könne, meinte sie „...das sagen alle die welche nach Deutschland bringen wollen."
So abgespeist gingen wir wieder ins Hotel zurück und warteten. Am 11. 02. gingen beide wieder zur Visastelle. Nach kurzer Zeit kamen sie wieder zurück: Die Anträge waren abgelehnt!
Dies mit folgender Begründung:
- „Die vorgelegten Informationen über den Zweck und die Bedingungen des beabsichtigten Aufenthaltes waren nicht glaubhaft."
- „Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen konnte nicht festgestellt werden."
Daraufhin beschloss ich nach Hause zu fliegen, um einen Rechtsanwalt einzuschalten.
Herr RA. H. bekam am 22.02.2019 von Scheich Sadeq und seinem Sohn eine Vollmacht für sie das Remonstrationsverfahren einzuleiten.
Am 01.03.2019 leistete ich einen Eid in meiner Eigenschaft als 1. Vorsitzende des Förderverein Aktion Jemenhilfe e.V. und der Jemen Kinderhilfe e.V.: „In Erfüllung der Vereinszwecke und der Fürsorgepflicht als Arbeitgeber bin ich bemüht, Herrn Sadeq Al Sufi wegen dringend benötigter ärztlicher Behandlung und seinen Sohn als dessen Begleiter und Betreuer nach Deutschland zu holen."
Am 11.03.2019 kam der Remonstrationsbescheid: „Die Remonstration ist zulässig, jedoch unbegründet."
Rechtsgrundlage: Diese war nahezu identisch mit der Ablehnung des Visums. (Bei Interesse stellen wir eine Kopie des Bescheids gerne zur Verfügung). Demnach sei Scheich Sadeq im Jemen wirtschaftlich nicht verwurzelt. Dies, obwohl ich bestätigt habe, dass Scheich Sadeq vom Förderverein Aktion Jemenhilfe e.V. seit 1996 monatlich ein festes Gehalt bezogen hat und von der Jemen Kinderhilfe e.V. ebenfalls für seinen Einsatz als Ziehvater der Kinder entlohnt wird. Die Arbeitsverträge lagen vor. Als Beweis lag auch das jährliche Statement der International Bank of Yemen vor.
Durch die Deutsch Jemenitische Gesellschaft erfuhr ich von einem Anwalt in Frankfurt, der viel mit Ausländerrecht zu tun hat. Ihn beauftragten wir einen neuerlichen Visumsantrag zu stellen.
Es wurden folgende Unterlagen vorgelegt:
- Erneute Versicherung beim ADAC
- Arbeitsvertrag mit Scheich Sadeq bestätigt durch die Provinzverwaltung Taizz.
- Bestätigung der Provinzverwaltung Taizz bezüglich des Krankenhauses in Al Mihlaf.
- Verpflichtungserklärung der Vereine.
- Namen der Familienangehörigen mit Unterschriften.
- Auflistung seines Eigentums mit Unterschriften der Pächter seines Landbesitzes, mit notarieller Bestätigung
- Angaben über die Art des Ertrages aus den verpachteten Grundstücken.
- Notarielle Bestätigung, dass er ein in Taizz und darüber hinaus, bekannter und geachteter Scheich ist.
- Auflistung der Größe seiner Grundbesitzes.
- Note des jemenitischen Generalkonsulats in Frankfurt.
- Erklärung des Verpflichtungsgebers vor der ABH/AV zur Abgabe der Verpflichtungserklärung (Umfang der eingegangenen Verpflichtungen; Dauer der eingegangenen Verpflichtungen; Vollstreckbarkeit; Freiwilligkeit der Angaben).
- Weitere eidesstattliche Erklärung, als 1. Vorsitzende des Förderverein Aktion Jemenhilfe e.V. und der Jemen Kinderhilfe e.V.
Unter großen Mühen haben die Söhne von Scheich Sadeq alle Unterlagen beschafft. Es gibt in Taizz kein Grundbuchamt, keine Post etc. mehr. Sein Sohn Ali musste zu den ehemaligen Bürovorstehern nach Hause gehen, um sich alle Unterlagen beglaubigen und abstempeln zu lassen. Dann musste er einen zuverlässigen Mann finden, der nach Aden reiste und bereit war, die Unterlagen mitzunehmen. Dort musste ein Reisender gefunden werden, der nach Kairo flog und bereit war, die Originale mitzunehmen. Am Flugplatz letztlich nahm der älteste Sohn von Scheich Sadeq die Unterlagen in Empfang.
Ein dicker Akt wurde eingereicht.
Am 10.10.2019 kam die Ablehnung des Antrages. Begründung: Wie am 11.02.2019 - also wie gehabt.
Mich persönlich trifft es sehr, dass man mir im Grunde unterstellt einen Meineid geleistet zu haben. Wie ich damit umgehen werde, weiß ich noch nicht. Am 01.11.2019 erhoben wir Klage beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin. Diese haben wir nun zurückgezogen.
Am 22.03.2020 ist Scheich Sadeq an den Folgen eines anaphylaktischen Schocks, verursacht durch eine Spritze, die der Urologe Osama Kamal Shair vom Kamal Shair Krankenhaus, am 20.02.2020, entgegen dem Rat von Scheich Sadeqs Sohn (Apotheker) mit Cetriaxone+ Gentmyacine ihm gegeben hat, nach einer Leidenszeit von fünf Wochen im Wachkoma, verstorben. Er musste in Kairo beigesetzt werden, weil wegen Corona der Flugplatz in Kairo gesperrt ist.