Die erste Reise in den Jemen
1996 während meiner ersten dreiwöchigen Reise durch den Jemen haben mich drei Dinge ganz besonders berührt.
Die Gastfreundschaft der Jemeniten immer und überall.
Die grandiose Landschaft: Die Wüste, die Dreitausender, die Wadis, die erloschenen Vulkane und die heißen Quellen, die Wüste, sowie das Rote Meer und der Golf von Aden. Die Architektur, wie zum Beispiel: Die Lehmhochhäuser im Hadramaut, die wie Zuckergebäck verzierten Häuser von Sanaa, die riskant an die Felsränder gebauten Häuser der Dörfer in den Bergen, die Rundhäuser am Roten Meer und die reich mit Stuck verzierten Gebäude in Zabid.
Während dieser ersten Reise entging mir zunächst die Armut vieler Menschen dort. Auf sie wurde ich erst durch den Unfall meiner, zu unserer Gruppe von vier Frauen gehörenden, Cousine aufmerksam.
Der Jemen war schon damals eines der ärmsten Länder der Welt: Ein Land größer als die Bundesrepublik. Ein Land mit ca. 28 Millionen Einwohnern. Ein Land, wo viele der meist jungen Männer nach Saudi-Arabien gingen, um dort den Lebensunterhalt für ihre Familien zu erarbeiten. Ein Land in dem Scheichs wie einst herrschten, indem jeder Mann mindestens eine Kalaschnikow besaß. Ein Land mit vielen Straßenkindern in den Städten, die von den Eltern auf die Straße geschickt worden waren, weil sie nichts mehr zu essen hatten.
Eine Demokratische Republik, beherrscht seit vielen Jahren, von einem Präsidenten, der selbst Korrupt war und Korruption zuließ.
Ein Land das einst „Arabia Felix“ genannt worden war, das jetzt durch einen „vergessenen Krieg“ in Schutt und Asche liegt, wo Menschen verhungern. Doch das sahen wir erst in Al Mudia, im dortigen Krankenhaus. Die Ärzte und Pfleger waren ungeheuer bemüht um meine Cousine. Sie schenkten uns die beiden letzten 5 cm breiten Gipsbinden, die sie finden konnten.
Labor in Al Mudia
Wir waren schockiert und verglichen unsere Situation in Deutschland mit dem dort Erlebten. Wir beschlossen uns zu bedanken, indem wir zu Hause Verbandsmaterial sammelten, um es nach Al Mudia zu bringen. Ein halbes Jahr später flogen wir, wieder vier Frauen, in den Jemen. Wir brachten unser Dankesgeschenk nach Al Mudia. Dort war die Freude groß! Der Chefarzt überreichte uns jedoch sofort eine lange Liste mit dringend benötigten Instrumenten.
Auch die sammelten wir wieder. 1997 flog ich zunächst allein nach Sanaa. Dort erwartete mich unser bereits bekannter Fahrer Sadeq mit einem französisch sprechenden Dolmetscher.
Wir fuhren mit einer Zwischenstation in Taiz nach Al Mudia. Auf dem Weg dorthin war Sadeq sehr mürrisch. Ich wusste nicht warum. Dann entspann sich folgendes Gespräch: „Warum bringst Du die Sachen immer nach Al Mudia?“ Ich: „Du hast doch selbst gesehen, wie arm die dort sind.“ Sadeq: „Du hast keine Ahnung wer hier deine Hilfe braucht. Die haben wenigstens ein Krankenhaus und Ärzte“.
Am Abend wieder zurück in Taiz, klopfte er an meine Tür: „Komm runter!“ Unten erwarteten mich drei Beduinen mit grimmigen Gesichtern und bewaffnet bis an die Zähne. „Komm mit ins Auto!“ es war Sadeqs Auto, ihm konnte ich vertrauen, also stieg ich ein. Wir fuhren etwas ziellos durch Taiz und ich wollte wissen, was sie mit mir vorhätten. „Wir wissen es auch nicht!“ So lud ich sie zum Abendessen ein. Sie nahmen gerne an und brachten mich nach dem Abendessen wieder ins Hotel. Ich wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte.
Am nächsten Morgen standen die gleichen drei Herren wieder im Foyer des Hotels, jedoch mit strahlenden Gesichtern. Sie luden mich ein in ihr Dorf Al Mihlaf zu kommen. Jetzt erfuhr ich auch, was sich abgespielt hatte.
In Al Mihlaf war noch nie ein fremder Mensch gewesen. So hatte Sadeq seinen Bruder Bilal ins Dorf geschickt, um die Dorfältesten zu befragen, ob er mit mir kommen könne. Das war keine einfache Sache: „Eine Frau, eine Deutsche, allein ohne Mann so weit von zu Hause entfernt? Man hörte so viel von liebestollen Touristinnen. Das musste geprüft werden.“ So wurden die drei mir inzwischen bekannten Herren nach Taiz geschickt. Ja, eigentlich um meine Tugend zu testen. Diesen Test habe ich bestanden! So fuhr ich also in Begleitung von inzwischen mehreren Männern, über Stock und Stein nach Al Mihlaf.
Al Mihlaf liegt ca. 35 Km nordwestlich von Taiz. Auf ca. 2.200 m Höhe. Unterwegs führten sie mich immer wieder in Behausungen von kranken Menschen, die in einer wirklich nicht zu beneidenden Situation ihr Dasein fristeten.
Am Abend saß ich bei den Männern. Der Älteste baute sich vor mir auf: „Du Frau aus Deutschland, wir wissen Du hast Medikamente nach Al Mudia gebracht. Hilf uns, es sterben so viele, auch Junge! Die Männer aus dem Dorf wollen arbeiten, aber wir haben kein Geld, um Material für den Krankenhausbau zu kaufen.“ Mir blieb das Gesicht stehen. Ich versuchte ihnen klarzumachen, dass es eine Sache sei Verbandsmaterial und Instrumente zu sammeln und eine ganz andere Sache ein Krankenhaus zu bauen. War ich doch keine Millionärin!
Ich sah zwar die Not dort, ich kannte jedoch das Land zu wenig, um die Situation zu beurteilen. So ging ich anschließend in Taiz zum Gesundheitsamt, in Sanaa zum Gesundheitsminister und in die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Dort meinte man es handle sich dort um sesshaft gewordenen Beduinen und wenn Beduinen um Hilfe bäten würde es brennen, wenn ich helfen könne, solle ich es versuchen.
Eigentlich erschien es mir unmöglich dort in den Bergen (2.200m) wo es weder Wasser noch Strom gab ein Krankenhaus zu bauen. So teilte ich „meinen“ Männern meine Bedenken mit und, dass ich jedoch in Deutschland versuchen würde Geld zu sammeln. Sollte ich Erfolg haben käme ich wieder, im anderen Fall nie mehr.
Inzwischen jedoch waren wieder drei Freundinnen angekommen und wir machten unsere vorher geplante Rundreise. Allerdings erlebten wir bei Bir Ali, einen Entführungsversuch inklusive Beschuss durch die Entführer. Nur der Geistesgegenwart von unserem Fahre Sadeq war es zu danken, dass es beim Versuch blieb. Dennoch war es wieder eine eindrucksvolle Reise durch dieses wunderschöne Land.
Kurz vor meiner Abreise wurde ich in das Haus eines reichen Scheichs, Mitglied des Parlaments, eingeladen. Auch ihm erklärte ich meine Bedenken. Er versprach mir, sollte ich wiederkommen, für Wasser und Strom dort in den Bergen zu sorgen. Vorher hatte mir der Gesundheitsminister versichert, für den Etat des Krankenhauses aufzukommen.
Zu Hause in Aichach berichte ich das Erlebte der örtlichen Presse. Als Gast eines anderen Vereins eröffnete ich ein Sonderkonto „Jemen“. Zu meinem großen Erstaunen liefen innerhalb von 10 Wochen 45.000 DM ein. Ich war überwältigt!
Der Grundstein für das Krankenhaus
Aus meiner heutigen Sicht, etwas blauäugig flog ich mit diesem Spendengeld nach Sanaa. Am 11.11.1988 wurde in Anwesenheit vieler örtlicher Honoratioren und sämtlicher Männer der Grundstein gelegt. Die Frauen standen etwas entfernt auf einem Hügel und beobachteten das Geschehen.
Ohne Strom und Wasser! Es musste ein Tank geschweißt werden und ein kleiner Generator wurde gekauft.
Mit Hammer und Meißel wurde das Fundament ausgegraben. Der Aushub wurde mit alten Eimern weggetragen. Ich kaufte zwei Schubkarren. Das war ein echtes Fest.
Steine wurden mit Eisenstangen aus dem Felsen gebrochen, mit dem Vorschlaghammer gespalten und unten am Berg auf einen kleinen LKW getragen.
Ich fuhr einmal mit zur Baustelle! ich dachte ich überlebe das nicht. So beschloss ich: „Wir brauchen eine Straße!“ Mühsam bahnte sich eine Planierraupe den Weg nach Al Mihlaf, bejubelt von den Kindern!
Bald war mir klar, dass das vorhandene Geld nicht für den ganzen Bau ausreichen würde. So wechselte ich alle drei Monate von Deutschland nach Al Mihlaf und wieder zurück. Es waren dort Kontrollbesuche und in Aichach Sammelaktionen. Hier konnte man nicht so richtig nachvollziehen, dass ich nicht für jede Ausgabe einen Beleg erbringen konnte. Ca. 89% der Männer und ca. 70% der Frauen dort sind Analphabeten! So wurde auch mir klar, dass ich, wenn ich mich verständigen wollte, arabisch lernen musste. - Sofort!
Die Männer schufteten unermüdlich in der sengenden Sonne. Besonders der Steinmetz stand vom frühen Morgen bis zum Einbruch der Dunkelheit in gebückter Haltung und klopfte die Steinbrocken ohne Maßband oder Winkeleisen in gleichgroße Steine. Er hat dafür noch heute meine Bewunderung.
Der Bau ging seiner Vollendung entgegen. Wasser und Strom gab es noch immer nicht!
In Aichach hatte ich in verschiedenen Krankenhäusern ausgediente Betten und anderes Equipment gesammelt. Der erste Container mit Einrichtungsgegenständen war unterwegs.
In Sanaa war ich auf den „Social Fund for Development“ gestoßen und hatte die Mitarbeiter überzeugen können, dass sich die Zusammenarbeit mit mir positiv für die Menschen dort entwickeln würde. Sie entsandten eine Sozialarbeiterin. Sie war eine große Hilfe für mich. So konnten wir 20 junge Frauen aus der Region, die eine Schule besucht hatten, nach Taiz zu Schwesternhelferinnen ausbilden lassen. Sie arbeiten heute in den Nachbardörfern mit unseren Ärzten. Sie leisten Erste Hilfe und übernehmen Pflegedienste. Der SFD unterstützte uns beim Bau des Ärztehauses und beim Kauf unseres großen Generators. Auch vermittelten sie uns eine junge Architektin, denn ich musste mich von unserem Architekten aus Taiz trennen.
Ja es war nicht immer einfach für mich, mich als Frau bei den Männern durchzusetzen! Letztlich habe ich es jedoch geschafft. Am 01.12.1999 kam der erste Patient!
Immer noch weder Wasser noch Strom noch ein Etat für den Betrieb des Krankenhauses. Der Scheich, wenn er mich sah, verschwand ganz schnell um die nächste Ecke. Der Gesundheitsminister hatte gewechselt, der neue wusste von nichts.
Die Gründung des Vereins „Förderverein Aktion Jemenhilfe e.V.“
Im Juli 2000 gründete ich den „Förderverein Aktion Jemenhilfe e.V.“ gemeinsam mit 27 Freunden.
Letztlich standen wir vor der Frage: „Sollen wir uns zurückziehen? Sollen wir das Krankenhaus selbst führen?“ Der Beschluss der Vorstandschaft: „Wir wollen verhindern so viel Geld und Mühe umsonst in dieses Projekt gesteckt zu haben. Also versuchen wir es selbst zu bewältigen!“
Seit dieser Zeit bestreiten wir sämtliche Kosten für das Krankenhaus ausschließlich mit Spendengeldern und den Einkünften aus verschiedenen Aktionen der Mitglieder.